Interpretation der Datierungen

Eine dendrochronologische Altersbestimmung der entnommenen Holzproben liefert für das untersuchte Bauwerk das Fälljahr des Baumes, nicht jedoch das Baujahr. Es besteht allerdings in der Regel ein enger Zusammenhang zwischen beiden Daten. Denn zu allen Zeiten wurden die Hölzer saftfrisch verarbeitet. Belege für diese Praxis sind vielfältiger Art. So hinterlässt tangentiales und radiales Schwindverhalten eines frisch zugeschnittenen Holzes nach der Trocknung z. B. bei Vollhölzern einen tendenziell leicht rhombischen Querschnitt. Trockenes Holz dagegen bleibt querschnittstabil. Ein weiteres Indiz ist in dem Vorhandensein von Rinde an verbauten Hölzern zu sehen. Dieser Zustand kann nur auf saftfrisches verarbeitetes Holz zurückzuführen sein, da die Rinde selbst bei kurzer Zeit der Lagerung durch Insektenbefall unterwandert wird und sich in kürzester Zeit abschält. Ähnlich verhält es sich mit dem Splintbereich. Bei nur wenigen Jahren der Lagerung würde er durch Insektenbefall schnell zerstört. Dadurch ergäbe sich eine optische Beeinträchtigung der Holzoberfläche der bearbeiteten Hölzer, die kein Bauherr hingenommen und die eine weitere Oberflächenbehandlung (z. B. Profilierungen) unmöglich gemacht hätte. Es liegt außerdem nahe, dass der Zimmerer jede unnötige Erschwernis der Bearbeitung der Hölzer vermied. Sägen, Beilen, Bohren, Stemmen können im saftfrischen Zustand des Holzes beinahe doppelt so schnell ausgeführt werden wie an getrockneten Hölzern. Auch dies ist nachweisbar.

Weniger häufig fanden Vollhölzer Verwendung. Zur Herstellung von Halb-und Viertelhölzern wurde die Schottsäge eingesetzt. Die auch heute noch erkennbaren Sägespuren verraten den z.T. enormen Vorschub. Die Strecke, die von Sägezug zu Sägezug zurückgelegt wurde, beträgt vielfach 1 cm und mehr. Dieses Maß des Vorschubs kann bei trockenem Holz niemals erzielt werden. Auch Beilhiebe geben über den Zustand des Holzes zum Zeitpunkt seiner Bearbeitung Auskunft. Der Beil-oder Dexelhieb hinterlässt auf der Holzoberfläche eine ziemlich glatte Fläche, wogegen bei trockenem Holz Absplitterungen und Abfaserungen zu sehen sind.

 Die wohl eindeutigsten Nachweise für unmittelbar nach dem Einschlag verarbeitetes Holz liefern schriftliche Quellen: Weistümern der Mosel/Hunsrück/Eifelregion sind mehrfache Hinweise zu entnehmen. In der "Policey und Burger Ordnung der Gemeindte zur Senheimb" aus dem 16. Jahrhundert heisst u.a.: "Item ist es verbotten, das ein ieglicher Burger zu Senheimb, der da Holtz heischet zum Bawe, der soll es binnen dem ersten Jahr verbawen, und auch binnen demselben Jahr decken, und solches in keinen anderen Wegh kehren, und das soll ein Burgermeister und seine Geschworene solche Pflatz erstlich besehen, und nach Nottufft ihme gegen, und ob solches nit geschehe, so hatt die Gemeindt Macht solches zu strafen" (Landeshauptarchiv Koblenz, Abt. 655, 40 Nr. 1; zit. nach Schmidt, Köhren-Jansen, Freckmann: Kleine Hausgeschichte der Mosellandschaft). Die Zeitspanne zwischen Fälljahr und Baujahr lässt sich somit und insbesondere bei Eichenhölzern relativ leicht eingrenzen. Zusätzliche Untersuchungen an inschriftlich oder archivalisch datierten Gebäuden ergaben eine 90 % Übereinstimmung und eine maximale Zeitdifferenz von 2 Jahren zwischen Fälljahr und Baujahr (Ernst Hollstein). Selbst eine Zeitspanne von bis zu 3 Jahren, die Bedal ansetzt (Konrad Bedal: "Fachwerk vor 1600 in Franken", Seite 17), sollte durch den Bauforscher akzeptiert werden. Allerdings muss vereinzelt auch mit größeren Abweichungen gerechnet werden. Insbesondere, wenn es sich um Weichholz handelt. In vielen Regionen war die Wasserlagerung als Holzschutzverfahren verbreitet. Nach mündlicher Überlieferung dauerte eine Wasserlagerung mindestens ein, jedoch nicht mehr als zwei Jahre. Eine Regel kann aufgrund dieser Aussage jedoch nicht daraus abgeleitet werden. Mehrjährige Wasserlagerung ist z.B. aus dem Schiffsbau bekannt und wird heute teilweise noch praktiziert. Wird Wasserlagerung oder Flößen vermutet, kann der Nachweis unter bestimmten Bedingungen durch eine zusätzliche Untersuchung erbracht werden.

In einigen Fällen kann das Fälljahr eines Baumes auch mit dem Baujahr des Hauses gleichgesetzt werden. So ist z.B. aus Archivalien für ein Haus aus der Twente (NL) belegt, dass die Hölzer nach einem im Februar des Jahres 1618 angesetzten Holting (Holzgericht) erst in der Vegetationszeit geschlagen wurden (Frühjahr/Sommer) und das Haus noch im selben Jahr gerichtet wurde.
Grundlage dendrochronologischer Datierungen bildet der letzte erhaltene Jahrring. Er liefert das einzige verlässliche Datum. Der Bauforscher muss dann die Erfahrungswerte der Zeitspanne zwischen dem Fälljahr und dem Baujahr hinzuaddieren. In einschlägigen Publikationen hat sich eingebürgert, dass nur das Fälljahr angegeben und als solches mit einem (d) ausgewiesen wird. Inschriftlich bekannte Datierungen erhalten den Zusatz (i) und archivalische Datierungen (a).

Mit dem Breitbeil bearbeitetes Eichenholz. Die Glätte der Oberfläche lässt erkennen, dass die Bearbeitung in saftfrischem Zustand erfolgte.
2-geschossiges Fachwerkhaus, Rinteln, Klosterstr. 10.
  
Dendrochronologische Datierung Frühjahr/Sommer 1692, inschriftliche Datierung ebenfalls 1692, was außergewöhnlich ist. Nach der Ausbildung des letzten erhaltenen Jahrrings ist der Zeitpunkt der Fällung für den überwiegenden Teil der Bauhölzer dieses Hauses in den Monaten Mai/Juni des selben Jahres anzusetzen. Die Eile bei der Errichtung dieses Hauses ist durch einen Brand des Vorgängerbaus entstanden.
Pastor Hus in Martfeld.
Dendrochronologische Datierung Herbst/Winter 1535.
Inschriftliche Datierung 1535. www.pastorshus.de
Hof von der Schulenburg, Badbergen, Heuerhaus.
Inschriftliche Datierung 19. April 1759.
Die rechte Taubandknagge irritiert und scheint aus einer früheren Zeit zu stammen. Eine dendrochronologische Untersuchung löste das Rätsel. Das inschriftliche Datum weist auf eine Umsetzung des Hauses hin. Das Kerngerüst jedoch stamm aus dem Jahr 1593, aus der Zeit, aus der auch die Taubandknagge stammt.